Einst lebten Flächenwesen. Dies sind Kreaturen, die zweidimensional sind und in einer ebenso gearteten Welt leben. Flächenwesen in einer Flächenwelt. Sie können nur das erkennen, was in ihre Welt passt. Einen dreidimensionalen Krug beispielsweise erkennen sie bloss als dessen zweidimensionale Schnittfigur mit ihrer Flächenwelt, also als Kreis oder Ellipse oder als sonstigen Linienzug. Sie können keinerlei Vorstellung eines dreidimensionalen Gegenstandes entwickeln, da ihnen jede Wahrnehmungsfähigkeit der dritten Dimension fehlt.
Krüge gibt es also in ihrer Welt nicht.
Eines Tages begannen einige dieser Flächenwesen, aus ihrer zweidimensionalen Trance zu erwachen und sie begannen, über eine nun auftauchende Frage zu meditieren. Sie wünschten zu entdecken, in was wohl ihre Flächenwelt eingebettet sei.
In tiefer Entspannung, gerade als jede wissenschaftliche Anstrengung wegfiel, erhoben einige von ihnen ganz kurz eine kleine Ecke ihres Flächenwesens und sahen, wie sich die Schnittlinie des Kruges zu einem wunderschönen Gefäss weitete. So erkannten sie den Krug und seine Natur, welche Blumen und Durstigen dient und vielem mehr.
Jetzt erkannten sie auch, dass die Schöpfung eine Krone trägt, welche auf tausend Weisen in Erscheinung tritt.
Doch gelang ihnen vorerst nicht, dieses Wunder den anderen, noch schlafenden Flächenwesen mitzuteilen. Denn jenen fehlte das Vokabular dazu. Es war, als würde man einem taubstummen Arktisbewohner das Wesen der antarktischen Pinguine auf chinesisch erklären wollen.
Annus coronae 2020/2021